Sehen ist glauben, 2010
Wim Wenders


… nicht nur für den seltsamen und neugierigen Apostel,
den stets zweifelnden Thomas,
war das essenziell –
es ist eine menschliche Neigung.
Wir sind empfänglich für beides:
sehen zu wollen
und glauben zu wollen.

Wir alle zweifeln heute:
Was sich nicht sehen (und noch mehr: nicht berühren) lässt,
ist für uns kaum vorhanden,
heute mehr denn je.

Malerei war immer eine Form der Einbildung –
im eigentlichen Sinn des Wortes:
Es sind die Maler, die uns an die Dinge glauben lassen,
alleine dadurch, indem sie diese auf die Leinwand bringen.

Nur: Sie fordern uns nicht einfach auf,
an die bloße Anwesenheit dieser Dinge zu glauben,
wie das die Fotografen tun.
Maler machen uns auf etwas anderes aufmerksam:
(Maler möchten uns von etwas anderem überzeugen:)
Auf die Möglichkeit
das Wesen der Dinge zu erkennen;
auf das, was Objekte, Landschaften und Menschen wirklich sind.
Das Wesen ihres Seins ist es
wonach sie suchen.

Nicht das bloße Dasein
einer über ihre Arbeit gebückten Magd war es,
die uns Vermeer zeigen wollte,
als er das Bild »Die Spitzenklöpplerin« schuf.
Er wollte uns mehr zeigen als die Darstellung einer Handwerkerin
oder die einfache Beschreibung eines Lebens.
Nein – er wollte das Leben selbst malen,
die innerste Seele einer solchen Frau,
den innersten Kern eines solchen Orts,
die innerste Natur dieses einen Lichts …
Er wollte sehen wie keiner vor ihm.
Und er wollte dieses Sehen teilen – mit uns.
Und wie er das tat!
Und es immer noch tut, Jahrhunderte später.

Manche Bilder zwingen dich – den Betrachter – zurückzutreten
und die Augen zusammenzukneifen:
So lässt sich deren Schönheit erahnen.
Erst dadurch enthüllen sie ihre Wahrheit.

Den Blick auf die Bilder von Robert Bosisio gewendet
ist keinen Schritt zurück notwendig.
Robert hat das für uns getan.
Er malte, was wir sehen,
durch halb geschlossene Lider.

Einfache Sachen:
Ein Bett!
Eine Tür!
(Oder zwei Türen..)
Einen Kopf!
Einen Körper!
Den Horizont!

Es ist wie bei Vermeer:
Das Sehen ist für Robert nicht nur reinste Freude,
ein fast heiliger Moment –
es ist der eigentliche Kern seiner Kunst.
(Und das nicht nur, wenn er tatsächlich ein Auge malt …)

Wenn man vor seinen Leinwänden steht,
lässt er deinen Blick (wieder? –) erkennen,
dass das Malen immer noch über die Oberfläche der Dinge hinausweisen kann
in die Sphäre ihres Wesens – selbst im 21. Jahrhundert.
Er lässt uns (wieder? –) daran glauben,
dass wir nicht nur von Kram umgeben sind,
sondern von wirklichen Dingen und deren Geist.

Man kann sehr nahe herangehen an sie,
jeden Pinselstrich überprüfen.
Selbst im kleinsten Detail lässt sich erkennen,
wie tief ihn die Frage nach der Wahrheit
von Orten, Landschaften und Menschen umtreibt,
in ihrem je eigenen Licht
und in den Zeugnissen ihres je eigenen Seins.


Dieses Buch erlaubt sogar einen Blick
in den Entstehungsprozess seiner Malerei:
Woher er kommt,
wie er gelernt hat beides zu sehen,
den Schein und die Oberfläche der Dinge ebenso
wie deren Seele.

Wirf einen Blick auf das Bild mit dem Bett!
Oder noch besser: Auf jenes mit dem schlafenden Mädchen!
Hörst du nicht ihr ihr leises Atmen?
Riechst du nicht die Luft?
Fühlst du nicht den Frieden?
Und weil du sie nun schon so lange betrachtest:
Siehst du nicht, wie sich das Auge des Mädchens öffnet, jetzt!,
und sich ein Lächeln über ihr Gesicht legt?

Jeder wahrhaftiger Maler
lehrt uns auch
das Sehen.